Wo fange ich an, mit meiner Ode an dieses Werk? Ich glaube, ich kann nicht sehr objektiv über dieses Buch schreiben. Ich liebe Bram Stokers Dracula einfach zu sehr. Ich bin immer wieder überrascht über die flüssige, gut leserliche Sprache; den Spannungsbogen; die vielen Charakteren, die darin eine Rolle spielen. Ja, es stimmt – zu Beginn der zweiten Hälfte wird es kurz etwas langatmig. Aber es passt dennoch so gut zu dem Buch! Zu seiner Geschichte! Denn vorher spitzen sich die Ereignisse in Atem beraubendem (im wahrsten Sinn des Wortes) zu und danach wird es ruhiger, klarer – die Geheimnisse lüften sich und es herrscht die Ruhe vor dem letzten großen Sturm, den der Leser heimsucht.

Achtung Spoiler: Hier mein Leseeindruck aus den Kapitel 21 bis 25 um einen näheren Einblick zu gewähren:

Dieser Abschnitt beginnt direkt mit Sewards Schilderungen über Renfields Zustand und was ihm widerfahren ist. Ich bin jedes Mal wieder bekümmert, wenn ich mir diese Szene vorstelle. Der arme Renfield, mit einem Schädelbruch und einem schnell wachsenden Bluterguss völlig verkrümmt daliegend, unfähig, sich zu bewegen oder zu artikulieren. Und dann, nachdem van Helsing den Druck von Hirn nimmt, wird er so klar und ruhig und berichtet, als sei er einer von ihnen und nicht der arme Irre, der dem Grafen als Diener zum Opfer fiel.
Beeindruckend fand ich hier, daß das medizinische Wissen um die Druckentlastung des Hirn Anwendung fand. Als ich dann darüber nachdachte, war mir klar, daß das wohl schon sehr sehr früh in der Entwicklung der Medizin, bekannt war und praktiziert wurde. Aber man macht sie sowas so selten bewußt!
Wie grauenvoll muss für alle Anwesenden der Moment gewesen sein, als sie erkannten, daß Mina das Objekt des Grafen Begierde war. Und wie erschütternd (aber auch recht erotisierend), war wohl der Anblick, als die Männer in das Schlafgemach der Harkers stürmten.
Genial fand ich hier den Satz:
„Dem Arzt sind alle Schlafzimmer gleich; und selbst wenn sie es nicht wären, sind sie es heute abend für mich.“
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Minas Tapferkeit hat mich an der Stelle teils etwas irritiert. Wer bleibt in dem Moment, in dem er seinem eigenen möglichen Untergang ins Gesicht blickt, so tapfer?
Spannend ist auf jeden Fall die kurze Sequenz der Hypnose. Ich finde es auch immer wieder herrlich, wie Stoker einfach frei weg schreibt, spannend bleibt und dann solche Dinge einbaut und sie nicht weiter erläutert (vermutlich, weil ihm selbst das Wissen darum fehlt). Aber er macht das auf eine Art und Weise, die sehr sympathisch ist und nicht stört. Er kommt einfach immer gleich zur Sache, ist nicht weitschweifig oder trocken.
Nun stecke ich mitten in der Jagd auf den Grafen, der sich auf einem Schiff in die Flucht geschlagen hat…
Mein Fazit: unglaublich lesenswert und wirklich wertvoll!

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